Laboratorium 3 - Traktate aus der alchemistischen Hexenküche

Das Neuroplitische Manifest - Eine kurze Gebrauchsanleitung zur Aufzucht und Pflege einer utopischen Welt - Teil 3 Das Prinzip der totalen Identifikation

  • Teil 2. Das Prinzip der totalen Identifikation”

Über dieses Prinzip, dessen direkte Anwendung, sowie seine literaturgeschichtlichen Abstammungslinien, habe ich schon eingangs berichtet. Hier soll nun an dieser Stelle ein weiterer wichtiger Sachverhalt eingefügt werden. Es ist das wichtige Bindeglied zwischen Fiktion und Wirklichkeit, den ich als Konkretisierungshintergrund bezeichnen möchte. Es sind die Faktoren, die sich von unserer materiellen Wirklichkeit aus, in eine fiktive, utopisch idealisierte Vorstellung ableiten lassen müssen.

_“Kund tue ich den neun Himmelskreisen, daß wonnevoll der Gott wie Kork und Schlamm ist J.L.Borges (Die Phönix Sekte)"_

Nehmen wir also einmal an, jemand bemüht sich durch den Akt der totalen Identifikation, das Werk der Schriftstellerin Margaret Mitchell (Vom Winde verweht) aus der reinen literarischen Fiktion in unsere Wirklichkeit münden zu lassen. In diesem Falle wäre der kulturparadigmatische Konkretisierungshintergrund als so schwindend gering zu bezeichnen, als das es möglich wäre diese Welt der Fiktion, mit der unserer Wirklichkeit einzutauschen. Der konkrete soziokulturelle sowie historische Hintergrund dieser Geschichte, könnte in unserer Zeit, mit seinen artspezifischen Faktoren keine bleibend, prägenden Konstanten ausbilden; da sich unsere Geschichte, trotz allen Kulturpessimismus und romantischer Verklärung, nicht um 200 Jahre zurückentwickeln würde. Von daher hätte der Akt einer solchen geistigen Investition, für das sich daraus herauskristallisierende Produkt, nur ein Nischendasein in unsere Welt zur Folge. Vielleicht als ein großartiges, von vielen Menschen gelesenes Buch; oder in seiner erweiterten Form als Film, der somit noch mehr Menschen zu erreichen vermag.

_“Und Gott ließ ihn hundert Jahr lang sterben; dann hauchte er ihm Leben ein und sprach zu ihm:"_

Als äquivalentes Gegenbeispiel wäre demnach das 1995 in die Kinos gekommene Werk des Horrorspezialisten John Carpenter,“Die Mächte des Wahnsinns” zu nennen. Mal abgesehen von der genretypischen Machart dieses Filmes, seinem ästethischen Wert, und seiner filmsprachlichen Umsetzung, ist er trotzdem ein hervorragendes Stück, zeitgenössischer, filmischer Erzählkunst. Er führt in seinem Plot, ein mächtiges philosophisches, sowie metaphysisches Gepäckstück mit sich herum.

_“Wie lange bist du hier gewesen?"_

Darin lässt der Horrorautor Sutter Cane, durch eben einen absoluten Glauben an die eigenspezifische Realität seines Buches, diese Welt und deren darin enthaltene Handlung, nach und nach in unserer Wirklichkeit auferstehen. Es ist in seiner spezifischen Ausgestaltung, eine Welt antiontologischer Dimension, da in ihr ein postapokalyptisches Endzeitszenario entworfen wird, in denen außerhalb unserer physikalisch, thermischen Gesetzmäßigkeiten, allerlei Wesen prälovecraftscher Prägung ihr Unwesen treiben. Der Konkretisierungshintergrund auf den Cane dabei trifft, ist der einer zutiefst verunsicherten, verängstigten sowie leicht verführbaren Gesellschaft; die in hingebungsvoller Erwartung an “das Ende” genügend Konstanten ausgeprägt hat, an denen wiederum Cane mit seiner apokalyptischen Fiktion anknüpfen kann.

_“Einen Tag, oder den Bruchteil eines Tages”, antwortete er. Koran, II, 261_

Während Cane hierbei nur eine destruktive Version einer möglichen Zukunft der Menschheit entwirft, soll es uns weiter an einer konstruktiven Alternative, zu unserer Welt gelegen sein. Letztlich unterscheiden sich hierbei unsere Mittel zur Erstellung des Werkes, in nur geringer Weise von denen Sutter Canes. Genauso wie dieser, verwenden wir die Ansammlung von Wörtern zu einem Buch, als den Verbindungskanal in eine andere Welt. Wie er verwenden wir die Kraft eines absoluten Glaubens und seiner daraus resultierenden Gewissheit, vor dem Hintergrund eines angewandten, spezifischen Wissens der Mystiker und Kleriker des Abendlandes; die sich alle über diesen Sachverhalt im Klaren waren. Und ebenso wie Cane versenken wir uns durch die totale Identifikation in das Werk, und bestellen so das irdische Feld der unberührten Zukunft mit unseren Träumen und Imaginationen.