Laboratorium 2 - Traktate aus der alchemistischen Hexenküche

Das Neuroplitische Manifest - Eine kurze Gebrauchsanleitung zur Aufzucht und Pflege einer utopischen Welt - Teil 2 Die Auslöschung jeglichen Zweifels

Wenn nach neuesten astrophysikalischen Erkenntnissen, dass für uns sichtbare Universum, quantenphysikalisch, eine mehrdimensionale Realität besitzt, man also von unentdeckten, scheinbar nur erahnungswürdigen Nischen im Raum spricht; warum nicht auch diese Sichtweise auf unsere geozentrische Realität übertragen. Es bedeutet letztendlich nichts anderes, als diese Phänomenologie hier vor unseren eigenen Haustür zu suchen und nicht Millionen von Lichtjahren im interstallaren Raum.

_“In der jüdisch-mittelalterlichen Erzählung um den Golem, wird durch die magischen Künste des Rabbi Löw eine Lehmstatue zum Leben erweckt."_

Diese Vorstellung ist weniger eine Aufforderung an unseren Verstand und unsere Vernunft, als vielmehr der Versuch zur Beflügelung unserer Fantasie. Das dabei auch eine verunglückte Form dieser Art geistigen Experimentes entstehen kann, zeigt uns sehr schön Silas Haslams schon erwähnte Erzählung “Die Architekten von Zürn”. In dieser Quasieutopie verfällt ein Gefangener der Bastille, in den Tagen vor der Französischen Revolution, durch die Inhaftierungsbedingungen in ein Stadium totaler Isolation. Er kann sich eigentlich nur dadurch am Leben erhalten und seinen Geist wach halten, weil er sich in der Dunkelheit seiner Zelle eine andere Realität und ihre dazugehörige Welt, die er “Zürn” nennt, in ihrer ganzen Konsequenz geistig vor sich aufbaut. In den Boden, den Wänden und sogar der Decke seiner Zelle, ritzt er in einem nie da gewesenem Akt der Entbehrung, die Geschichte Zürn's ein. Selbst die Tage der Befreiung der Bastille, hätten für ihn keine Erlösung geboten, wenn nicht ein gewisser Hauptmann Pavell Zürninskie ihn aus diesem vollkommen abgeschiedenen Teil der Festung befreit hätte. Somit hatte er die ganzen Jahre seiner Inhaftierung mit nichts anderem zugebracht, als seine ganzen Wünsche und Hoffnungen auf den Moment seiner Befreiung und der damit zusammengehörenden Person des Hauptmannes, zu projizieren. Pavell Zürninskie ist für ihn der Inbegriff, das Tor zu einer neuen Welt, zu einem neuen Leben.

_“Das Material, also der Lehm, ist eigentlich der körperlichen Substanz eines lebenden Wesens genau entgegengerichtet, und entwickelt gerade deshalb genügend natürliche Widerstandskräfte."_

Die Wirklichkeit der Magie dieses Vorhabens, beweist uns die merkwürdige Koexistenz der beiden Namen “Zürn und Zürninskie”. Es ist somit irgendwie unsere Gewissheit, daß er mit seinem Wunsch und Traumreliefs, mit dieser magischen Anrufung einer anderen Realität, nur um einige Nuancen unsere Welt verfehlt hat. Aber wer weiß, vielleicht existiert Zürn als ein seltsames, fantastisches Gemälde unter einem Haufen Gerümpel, im Keller des Hauses des Hauptmannes, vielleicht als eine unbekannte Numerologie auf dem Ziffernblatt seiner Taschenuhr, oder sogar als ein Buch mit dem Titel “Die Architekten von Zürn”; hoch oben in dem letzten Winkel seiner Bibliothek. Wer weiß?
Dieser kleine Abstecher in die literaturspezifische Geschichte des magischen Realismus, zeigt uns für unser Vorhaben sehr schön, dass diese verborgene Disziplin, wenn auch nur in einem kleinen Kreise, schon im vergangenem Jahrhundert bekannt war. Um uns unserer eigentlichen Grundthematik, und der damit verbundenen Aufgabenstellung wieder zuwenden zu können, müssen wir nun zwei grundsätzliche Kategorien voneinander unterscheiden.

_“Wiederum die Analogie des Lehmes zur Erde dafür sorgt, dass diese Kräfte daraufhin in einen konstruktiven Prozess münden können."_

Da wäre als Erstes der Bereich der KREATION. Unter diesem Begriff fassen wir letztlich alle Faktoren zusammen, die es uns ermöglichen werden, ein bis in das kleinste Detail hin ausdifferenziertes Bild einer utopischen Wirklichkeit entstehen lassen zu können. Die Menschen und ihre dazugehörigen Geschichten, die Dinge die sie denken und empfinden und das Gesellschaftsbild, das sie aus ihrer Mitte heraus entstehen lassen möchten. Die Geschichte der Dinge die sie schmecken, hören, sehen und unter ihren Fingern fühlen. Das Bild dieser Wirklichkeit, wird nun in seiner sprachlichen Ausdrucksform keinen Zweifel daran lassen, das es die darin beschriebene Welt schon längst gibt, und sie durch dieses Buch eigentlich nur noch kommentiert wird. Die Kategorie der Kreation wird also in diesem Zusammenhang durch Nova Utopia, also das Buch selbst, definiert. Die zweite, und letztlich alles entscheidene Kategorie, ist die der REALISATION. Alles, was in ihr geschieht, wird in diesem Vorwort beschrieben. Es gibt keinen direkten Hinweis innerhalb der Kategorie des Buches auf den dort stattfindenden Prozess. Mit der Sprache der Alchemisten betrachtet, wäre demnach das Buch selbst mit der Prima Materia vergleichbar, während alles was mit dessen Anwendung zu tun hat unter das “Große Werk” fällt, also die Veredelung des unbelebten Gegenstandes beinhaltet. Wie dieses “Magnum Opus” der Alchemisten, und der damit verbundene Wandlungsprozess setzt sich nun auch die Kategorie der Kreation aus vier verschiedenem Prozessstufen zusammen. Aber seit unbesorgt - wir Beginnen der Reihe nach.

  1. DIE AUSLÖSCHUNG JEGLICHEN ZWEIFELS

Die Auslöschung jeglichen Zweifels bedeutet gleichzeitig die konkrete Anwendung eines absoluten Glaubens. Eines Glaubens, der nicht unter den Zwang stand sich aus der Notwendigkeit eines desorientierten Zustandes zu konstituieren, sondern der seine ihm eigengesetzmäßige Realität aus der absoluten Gewissheit eines freien Geistes ableitet. Für den Bruchteil einer Sekunde deutet sich hier eventuell die Flucht in einen idealisierten Ich-Zustand an. Aber nur die Überwindung der eigenen Grenzen des Zweifels, verhilft uns den nächsten Schritt zu gehen, und somit die eigene Gewissheit auch zu der Gewissheit der anderen werden zu lassen. Die Dinge die einen charakterisieren und prägen, aus den Kerker der eigenen Gedanken an das gleißend helle Tageslicht treten zu lassen, um beispielsweise damit eine zweite Person einzubeziehen.

_“Wenn sie ein Stein sein wollen, dann glauben sie es nicht nur für sich, sondern überzeugen sie auch ihre Mitmenschen davon."_

Wenn sie ein Stein sein wollen, dann glauben sie es nicht nur für sich, sondern überzeugen sie auch ihre Mitmenschen davon. Aber vorher müssen sie der Überzeugung sein, daß es eigentlich nicht von besonderer, gesellschaftlicher Gewichtigkeit und Relevanz ist, warum sie ein Stein sein wollen. Das soll heißen, schreiben sie sich die Rolle zu, die sie für sich am Wichtigsten halten, und nicht die eventuell jemand anderes für sie vorgesehen hat, oder die man in ihnen zu sehen glaubt. Reden sie nicht nur über ihr faszinierendes Dasein als Stein, sondern strahlen sie den kristallisierten Zustand einer übersättigten, wässrigen Schmelzlösung in voller Überzeugung aus. Und denken sie immer daran, dass es nicht wichtig ist ob man sie in dem Verhältnis, was man als gesellschaftlich normal bezeichnet, eventuell für verrückt und somit für die Gemeinschaft ungeeignet hält. Wenn sie also nicht nur diese Rolle spielen, sondern einen Zustand überzeugend für sich und alle anderen verkörpern, dann wird auch diese Reaktion ausbleiben. Hier hört zumindest, das vereinfachte Beispiel eines Steines auf, denn es fehlt ihm die verallgemeinernde Relevanz, um es für eine große Gruppe von Menschen, oder sogar alle Menschen, übertragbar zu machen.

_“Reden sie nicht nur über ihr faszinierendes Dasein als Stein, sondern strahlen sie den kristallisierten Zustand einer übersättigten, wässrigen Schmelzlösung in voller Überzeugung aus."_

Die Auslöschung jeglichen Zweifels beinhaltet nicht die totale Negation der möglichen kritischen Haltung einer oder mehrer different ausgerichteter Personen, sondern muß gleichzeitig Gradmesser sein für die fehlende intensive Ausrichtung der eigenen Person. Es gilt hier also nicht, sich fanatisch der Welt gegenüber abzuschotten, sondern sich ihr sperrangelweit zu öffnen und ohne Zweifel gegenüber den eigenen Absichten entgegenzutreten. Die erste Prozessstufe des großen Werkes setzt primär noch keine unbedingte Handlung voraus, sondern bereitet lediglich den geistigen Rückhalt für den nächsten Schritt vor.