Laboratorium 1 - Texte aus der alchemistischen Hexenküche

Das Neuroplitische Manifest - Eine kurze Gebrauchsanleitung zur Aufzucht und Pflege einer utopischen Welt - Teil 1

Legt man der Erstellung eines literarischen Werkes wie dem Neuropolitischen Manifest, den alchemistischen Wandlungsprozess zu Grunde, so müssen wir hierbei zwei grundsätzliche Phasen unterscheiden. Da wäre erst einmal die Phase der Kreation, welche in der Sprache der Alchemisten als das Material bezeichnet werden kann. In dieser Phase des Prozesses wird mit den sogenannten Ingredenzien das spätere Werk vorbereitet. Diese kann später durch die Projektion psychischer Inhalte auf den zu bearbeitenden Stoff, in die Phase der Realisation münden. Die Zielvorstellungen in der Alchemie sind es eben nicht nur aus dem toten Material, dem Blei, Gold zu gewinnen, sondern grundsätzlich allen toten Dingen neues Leben einzuhauchen; wie es sich beispielsweise in der Geschichte der Literatur in der Idee von dem Golem der aus Lehm erschaffen worden ist, oder in der Kreatur des Frankenstein zugetragen hat. Im Falle Nova Utopias und des Neuropolitischen Manifestes, wird die reine literarische Fiktion, durch ein Experiment mit den verschiedenen Dimensionen und Qualitäten der Wirklichkeit ersetzt. Es geht dabei nicht nur um die Belebung einzelner toter Gegenstände oder auch Wesen, sondern um die Erschaffung einer kompletten, bis in das letzte Detail hin, ersonnenen Welt.

_“Und die Welt wird Tlön sein”_

Der eigentliche Schlüssel zu der Idee und der Magie dieses Vorhabens liegt in dem Werk J. L. Borges verborgen. Speziell Borge's Miniutopie " Tlön, Uqbar, Orbis Tertius”, sowie das Werk Silas Haslam's ( 1804 - 1865 ) " Die Architekten von Zürn " und “Der Pavillion der vergessen Utopien " sind die eigentlichen geistigen Ziehväter des Neuropolitischen Manifestes. Tlön, Uqbar, Orbis Tertius arbeitet mit der Vorstellung, dass die Zeit und ihre verschiedenen Qualitäten nicht in einer ständig konstanten Abfolge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft abläuft und vergeht, sondern diese in einer Art multiplen Mehrdimensionalität von Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünften, parallel ständig gleichwertig nebeneinander existieren. Genauso wie die Zeit, so ist auch der Raum in seinen verschiedenen zeitlichen Aspekten, schon heute im hier und jetzt quasie existent.

_“Es gibt keine Wahrheit, sondern nur Erstaunen”_

Genauso wie die mittelalterlichen Alchemisten das Geistige im Wandlungsprozess aus der Materie herausdestillierten, so kann mit der richtigen Methodik nicht nur die geistige, sondern auch die materielle Realität des utopischen Ideals, aus unserer Gegenwart herausgefiltert werden. Hiermit möchte ich nun eine praktische Anleitung geben, die es uns ermöglicht durch den Akt bloßer Meditation und Imagination, eine neue Realität im Hier und Jetzt entstehen lassen zu können.

Wir beginnen mit einer ziemlich einfachen Übung. Einem Beispiel, das einem im Verhältnis zur späteren Aufgabenstellung, keine besonderen imaginierenden Fähigkeiten abringt. Stellen sie sich nun einen bestimmten Gegenstand vor. Beispielsweise eine Münze. Sie können sie sich aus einem Katalog heraussuchen und den Schwierigkeitsgrad dadurch erhöhen, daß diese Münze einen gewissen Seltenheitswert besitzt. Für eventuelle Zweifler an der Wirklichkeit der Durchführung, sowie den späteren Resultaten dieses Versuches, besteht nun noch die Möglichkeit den Schwierigkeitsgrad ins scheinbar unermessliche dadurch zu erhöhen, dass sie sich eine Münze vorstellen die vielleicht noch gar nicht existiert. Aber im Prinzip macht dieser Umstand, für die weitere Durchführung unseres Experimentes keinen großen Unterschied. Denn, ob Sie sich nun eine Münze oder eine ganze Welt vorstellen sollen, erhöht zwar die Komplexität - ändert aber nichts am Prinzip. Beginnen sie nun damit, sich diese Münze in ihrem Gedächtnis fest einzuprägen. Tragen sie nun, natürlich nur soweit dies ihre kostbare Zeit erlaubt, das Bild dieser Münze am Tage vor ihrem geistigen Auge schwanger. In der Nacht fordern sie sich dazu auf diese Münze zu träumen; Nacht für Nacht. Versuchen sie mehr über diese Münze in Erfahrung zu bringe. Ihre Geschichte, oder beispielsweise ihre materielle Zusammensetzung. Stellen sie sich den speziellen Klang vor wenn sie zu Boden fällt.

_” Ich verdanke der Konjuktion eines Spiegels und einer Enzyklopädie, die Entdeckung Uqbars” J.L. Borges (Tlön,Uqbar, Orbis Tertius)_

Falls sie sich in ihrem experimentellen Hochmut eine Münze ausgewählt haben sollten, die eigentlich noch gar nicht existiert, so haben sie nur ein klein wenig Geduld. Sie werden auch zu diesem Exemplar die passende Literatur finden. Aber bemühen sie sich nicht in einer gängigen Buchhandlung danach zu fragen, sondern suchen sie Orte auf, an denen man literarische Hinweise auf ihre Münze gemeinhin nicht vermuten würde. Sie könnten sich beispielsweise Information über die Herkunft jedes einzelnen Exemplares besorgen und die Personen aufsuchen, die sie schon einmal in den Händen hielten. Malen sie diese Münze in verschieden Stilvariationen, sowie allen erdenklichen Perspektiven auf jedes mögliche Material. Um noch weiter gehen zu können, bemühen sie sich beispielsweise den exzellenten Malstil des großen französischen Stillebenmalers Jean-Baptiste-Simeon Chardin zu erlernen. Versuchen sie nicht nur wie Chardin zu malen, sondern versuchen sie wie Chardin zu sein. Leben sie wie er gelebt hat – leben sie bescheiden. Nur für Ihre Kunst.

_“Der Spiegel und die Vaterschaft sind abscheulich” J.L. Borges (Tlön,Uqbar, Orbis Tertius)_

Wenn sie meinen, so weit zu sein; es kann sich vielleicht um einige Jahre ihres kostbaren Lebens handeln, dann nehmen sie sich irgendein Gemälde Chardins vor. Beispielsweise das " Stillleben mit Porzellankanne " von 1763. Beginnen sie nun, dieses Vorbild exakt zu kopieren. Vergessen sie dabei bitte nicht ihre Münze irgendwo einzusetzen. Vielleicht neben dem aufgesprungenen Granatapfel und den hellen Trauben, dort fällt das Licht des Raumes besonders schön. Wenn sie fertig sind, dann gehen sie in den Louvre und schauen nun bitte nach, ob mittlerweile ihre Münze sich auch im Original von Chardin einen Platz verschafft hat. Falls das eventuell nicht der Fall sein sollte, dann machen sie sich bitte wieder an ihr Werk und versuchen es gleich noch einmal. Falls aber der Fall eingetreten sein sollte, das diese ihre Münze sich wirklich an dem Platz befindet, wo sie sie in ihr Bild hineingemalt haben, dann haben sie es geschafft der existentiellen Realität dieses Universum und eines seiner kunsthistorisch, verankerten Protagonisten ( in diesem Falle Chardin ) ihren speziellen, existenziellen Realitätsstempel aufzudrücken. Für Zweifler an diesem Experiment wäre es jetzt angebracht kunsthistorische Kataloge in aller Welt zu wälzen um nachzuschauen, ob diese Münze sich wirklich auch dort und auch in allen repliken Darstellungen niedergeschlagen hat. Falls nicht, haben sie Geduld. Es dauert eventuell ein wenig länger.

_ “Der Islam kennt eine Nacht, genannt die Nacht der Nächte: da tun sich die geheimen Türen des Himmels weit auf, und süßer ist das Wasser in den Krügen.” J.L. Borges (Tlön,Uqbar, Orbis Tertius)_

Dieser spezielle und sicherlich sehr aufwendige Teil des Experimentes, ist natürlich nur im Falle von noch nicht existenten Objekten anzuwenden. Für schon existente, aber vielleicht seltene Objekte, gilt natürlich der vorher beschriebene Versuchsweg. Was trotz alledem beide Zielobjekte prinzipiell miteinander verbindet, ist die Tatsache, dass es darum geht fortan sein ganzes Leben der möglichen Existenz dieser Münze, oder auch eines anderen Objektes zu widmen, um dieses letztendlich eines Tages wahrhaftig vor sich liegen zu sehen.

Dieser hier beschriebene Vorgang, ist aber ein noch ziemlich einfaches Beispiel, denn ein Skeptiker könnte behaupten, dass es sich dabei nur um einen neurologischen Trick handelt. Wobei man durch das Eindämmen bestimmter Möglichkeiten und das gleichzeitige Aufbauen einer speziellen Vorstellung ( Münze ) eben auf die Möglichkeiten so eine Münze zu finden besonders achtet, wohin gegen jemand anderes an dieser wieder achtlos vorbeilaufen würde. Nur erhöht sich auch mit dem Grade der Seltenheit die Wahrscheinlichkeit diese jemals zu finden. Eine seltene Münze zu finden (ohne zu suchen) bedarf schon ein wenig mehr geistiger Investition und Beharrlichkeit, als ein in unserer Realität, gängig anwesendes Geldstück. Aber wie verhält es sich nun mit einer Münze die nirgendwo verzeichnet ist, die scheinbar nicht existiert, aber doch irgendwie eine Spur in unserem Gedächtnis hinterlassen hat. Wenn der Seltenheitswert dieser Münze bei null liegt, so muss auch die Wahrscheinlichkeit diese jemals in die Hände zu bekommen, bei null liegen. So muss es zumindest erscheinen. Ich glaube das dieser scheinbar bekümmernswerte Umstand, auf die eigentliche Zielvorstellung gesehen, nur wenig Unterschiede macht. Es ändert sich letztlich nur die Intensität unserer geistigen Investition auf das materielle Objekt, und setzt voraus das wir diese geistige Investition in das “Prinzip der totalen Identifikation” umwandeln müssen.

_” Alle Menschen sind im schwindelerrgenden Augenblick des Koitus derselbe Mensch. Alle Menschen die eine Zeile von Shakespeare memorieren, sind William Shakespeare”_

Ähnlich wie es Borges seinem Protagonisten im “Pierre Menard, Autor des Quijote” geschehen lässt, der versucht auf eine sehr spezielle Art und Weise Miguel de Cervantes zu sein, um letztlich so zur Fähigkeit des Schreiben des Quijote zu gelangen. Dieses Prinzip ist nichts anderes als die Projektion psychischer Inhalte in den zu bearbeitenden Stoff, so wie es die Alchemisten schon lange vorher praktiziert haben. Es gilt also, im Gegensatz zur bloßen geistigen Investition, die sogenannte Prima Materia, den Klumpen Lehm, oder das Stück Blei, oder besser gesagt, einen exbeliebigen Gegenstand unserer Realität, den Stoff mit der reinen Imagination und Identifikation zu bearbeiten, um diesen letztendlich umzuwandeln ( transmutieren ). Dieser Vorgang ist ein Überbrückungskanal in eine andere, parallele Realität, in der eben speziell solche Münzen und utopische Ideale, als Alternativmöglichkeiten zu unserer Wirklichkeit schon längst existieren. Ich schlage deshalb den von Lars Gustafsson vorgeschlagenen, philosophischen Pfad ein, den er in seiner Nachbetrachtung zum Werk Borges zu verstehen gibt. Das es eigentlich eine ziemlich totalitäre Forderung sei, zu behaupten, das sich alle Menschen in derselben Welt befinden würden. Ich schlage diesen philosophische Pfad deshalb ein, um mir später meine eigene Abzweigung zu suchen. Ich behaupte also nun ergänzend, dass es vermessen wäre zu glauben, dass alle Objekte und Welten unserer Imaginationen und Träume sich in unantastbaren, verschiedenen Realitäten befinden würden, sondern diese sich eventuell schon längst in verborgenen Nischen unserer Welt aufhalten; um von dort aus von uns abgerufen zu werden.